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»Absence«, Aufbau, Aalto University, Helsinki

Installation »Absence«

When i started working on »Absence« it was the first time that i used the internet as a medium. Techniques are investigation, auction and installation. The industrial produced plates are the material.  Each one comes from a different factory in Europe, but no one from GB, where the technology (industrial made stoneware) was founded by Josiah Wedgwood in the 18th century.

The subject is  early technology transfer. My installation is dedicated to the Wedgwood Memorial Building in Burslem, Stoke-on-Trent, Staffordshire.

„Absence“ ist die erste Arbeit, bei der ich das Internet als Medium genutzt habe. Die Techniken sind Recherche, Auktion und Installation. Material sind industriell produzierte Stone Ware (Steingut)Teller. ( … ) „Absence“ handelt vom frühen Technologietransfer. In Stoke-on-Trent wurde im Dreieck zwischen Manchester, Birmingham und Liverpool im 18. Jahrhundert von Joshua Wedgwood die Keramikindustrie erfunden. Heute wird hier nur noch in einem Bruchteil der Betriebe gearbeitet, die bis in das 20.Jahrhundert hinein entstanden sind. Ganze Industrieareale und Stadtviertel sind verlassen. Nur wenige Neugründungen und Fortführungen von Unternehmen führen die Keramikproduktion ins 21.Jahrhundert. Produziert wird heute vor allem in Asien, (zunehmend in Osteuropa, Anm.d. A. 2022). Die Industriekultur, die hier entwickelt wurde, gibt es nicht mehr. Menschen, die hier geboren und aufgewachsen sind (born and bred), suchen nach neuen Lebensmöglichkeiten. Ausgangspunkt meiner Arbeit war, dass ich in dieser schwierigen Situation etwas nach Stoke-on-Trent zurückbringen wollte. Stolz auf Geschichte vielleicht, auf die Geburt einer Technologie, die von hier zunächst nach Festland-Europa ging, dann nach Übersee, in die Welt. Eine Technologie, die zum Entstehen der Alltagskultur des 20.Jahrhunderts beitragen konnte.

Ich habe im Internet nach industriell gefertigten Steingut Tellern geforscht, die aus europäischen Fabriken stammen, nicht jedoch aus England. Die Recherche ist mühselig und langwierig, denn massenweise industriell gefertigtes Geschirr war hauptsächlich für den Alltagsgebrauch gedacht und galt als wertlos. Besonders die vielgenutzten Essteller wurden entweder für alle denkbaren Zwecke aufgebraucht oder als Restbestände weggeworfen (was man vererbte war Porzellan). So ich konnte, habe ich für jede Fabrik einen Teller ersteigert. Zwischen September 2012 und März 2013 war die Sammlung auf 63 Exemplare angewachsen. Die Zahl steigt langsam weiter (bis heute, Anm. d. A. 2022). Auf den Rückseiten der Teller sind die Fabrikmarken der Betriebe zu sehen, die in Belgien, Luxemburg, Frankreich, Deutschland, Schlesien, Litauen, Russland, Norwegen, Dänemark, Schweden, Finnland, Österreich, Ungarn, Tschechien, Rumänien, Schweiz, Italien, Spanien, Slovenien… produzierten. Diese Rückseite ist die Seite, die ich zeige. Man kann die sich gleichzeitig ähnelnden und unterscheidenden Steingutmassen und Glasuren zusammen betrachten, dazu die Stempel der Hersteller und die, gelegentlich handgeschriebenen Codes für Dekore. Man sieht technologische Übereinkünfte (wie das Einformen) ebenso wie Unterscheidungen (z.B. Unterglasur oder Fayence, ein breites Farbspiel).

Für unsere heutigen, an die Eintönigkeit postindustrieller globalisierter Massenerzeugnisse gewöhnten Augen scheint die Vielfalt der Anwendungen und lokalen Fortentwicklungen der Ursprungstechnologie fast an individuelle Ausformungen heranzureichen. Ich habe mir das vormals Niedrige, Gewöhnliche, Hässliche in eine Schönheit transferiert, die ich heute dringlich begehre.

Keynote

Concomitance // concurrency // concurrence // coincidence // simultaneity // simultaneousness // synchrony // synchronicity // synchronism // contemporaneity // contemporaneousness // ubiquitousness
How articulation is conducted in my studio work

[Abstract]

In my lecture, I will talk about the difficulty of discussing simultaneous timelines in my artwork and teaching in one timeline. Using hands to build or not, is only some of the pairs I have been working with the last two years in my studio and in factory spaces. Painting / glazing, round and oval, black and white, drawing and over painting, plain and structured surface, new and old, found and made, less / high value, sculptural and two dimensional. Two steps forward and one step back, and often an additional step to the left or to the right.

(der vortrag war wie eine künstlerische arbeit strukturiert. er bestand aus einer vielzahl von bildern, die in fünf ordnern versammelt waren:

kulturtechniken

musterbuch ,palimpsest (oval, painting, whites, patterns)

ABSENCE

work and landscape (cultural pandscape)

on freedom in construction (brick workshop)

ruins, museums, repairs

die bilder wurden kommentiert, einige wurden nur  im vorübergleiten kurz sichtbar, ohne erwähnt zu werden, manche bilder tauchten in anderen ordnern(zusammenhängen)  auf und wurden im kontext wieder kommentiert.

ich konnte mich in dieser ordnung vor- und rückwärts bewegen, auch in sprüngen.

die geschwindigkeit war hoch (bild auf bild) die kommentare deshalb eher in satzfragmenten (sonst zu langsam)

freie rede, nur Stichworte im heft und das zitat “ the only thing is that we all wait for the most efficient exident“ francis bacon)

am ende ENGE rückwärts gezeigt, so daß die nische mit der installation schrittweise in dem großen raum verschwindet.

dann second life, responsibility)

Installation »Esser«

In der Installation »Esser« 2001 realisiert die Künstlerin auf den ersten Blick ein formal und narrativ strenges Konzept. Auf unterschiedlich langen
Wandregalen sehen wir Vorratsdosen eines Typs, einer traditionellen Form.
 Die unterschiedliche Länge der Regale definiert sich durch die
unterschiedliche Anzahl von Vorratsdosen, die auf ihnen zu stehen kommen.
Das kürzeste Regal besteht aus drei Dosen, das längste aus neun Dosen. Die
unterschiedliche Anzahl der Dosen ist bedingt durch die Wörteranzahl eines
jeweiligen Verses eines Gedichtes von Bert Brecht in einer überarbeiteten
Fassung von Heiner Müller. Jedes Wort aus diesem Gedicht steht auf einer
einzelnen Dose: 132 Dosen. 23 Verse hat das Gedicht, die Installation hat
 23 Regale. Der kleinste Vers lautet »Das ABC heißt«, der längste Vers lautet: »Und Du sollst verschwinden wie der Rauch am Himmel« . Dosen mit
Schriftzügen, man erwartet Mehl, Zucker, Graupen, Salz, Reis, Erbsen u.ä.,
sind aneinandergereiht kein naheliegendes Medium für einen geschlossenen,
gebundenen Text. Sondern jede einzelne Dose »Mutter«, »Daß«, »Hackfleisch« wird als eine Benennung des jeweils verschieden gedachten Inhaltes angenommen. Die Dosen sind leer. Die Regale, Verse, haben eine gewisse
 Zügigkeit durch das Nebeneinander und stehen stark als Parole, als Satz im 
Raum, »Wir wollen nicht aus deinem Haus gehen«, »Daß ihr zu Präsidenten ausersehen seid« , »Die Esser sind vollzählig«. Für den Betrachter der Installation, der in diese hineingehen muß ist der Reiz groß, eine Vorratsdose z.B. «Hackfleisch« aus dem Regal zu nehmen und durch z.B. die Dose »unverbindlich« zu ersetzen. Ein spielendes, eigene Ordnungen setzendes Aktionsbewusstsein setzt beim Rezipienten ein und er bringt die
starre Ordnung des künstlerisch poetischen Textes schnell und völlig
durcheinander. Auf einmal schwingen andere Inhalte mit und die Schwere des
mit Bedeutung belasteten Gedichts löst sich auf in immer neue Texte. So
kann auch ein Text gedacht zum Fragment werden, er kann Ruine seiner
ursprünglichen Schönheit und Bedeutung werden.

»From time to time« – Performance

Tilmann Meyer-Faje, Kerstin Abraham and Students

Muthesius Academy for Fine Arts and Design, Kiel, DE

»From time to time: ceramics as time-based media«

»Earth is a container for time. lt is nature and culture simultaneously: (hier fehlt die 2).« (oder nicht?) The primordial soup, nu­tritional soil, cultural materials, medium. Today’s situation  – as far as one can see and touch it  – is above all technically configured. Slowly are we beginning to realise that the means to our ends develop effects which cannot be contemplated beforehand and that we thus have to learn to present our knowledge as a moment of action. We have to learn to distrust the simple ends – means chain in our progno­ses. As Sennett suggests, we are talking about working methods or, negatively, the values of uselessness. »And we must not be afraid« says the exhibitor Harald Szeemann, »to do everything ourselves, from vision to nail. This means that we have to invest time, the whole being only a question of the time invested. Since subjective will one day become objective.« The factor of time in its perception and processing represents IMHO the most important co-ordinate ever in the creation of contemporary art.

»From time to time«

in: »Clay Matters«, Catalog PXL-MAD School of Arts,Hasselt

»From time to time: ceramics as time-based media«

»Earth is a container for time. lt is nature and culture simultaneously: (hier fehlt die 2).« (oder nicht?) The primordial soup, nu­tritional soil, cultural materials, medium. Today’s situation  – as far as one can see and touch it  – is above all technically configured. Slowly are we beginning to realise that the means to our ends develop effects which cannot be contemplated beforehand and that we thus have to learn to present our knowledge as a moment of action. We have to learn to distrust the simple ends – means chain in our progno­ses. As Sennett suggests, we are talking about working methods or, negatively, the values of uselessness. »And we must not be afraid« says the exhibitor Harald Szeemann, »to do everything ourselves, from vision to nail. This means that we have to invest time, the whole being only a question of the time invested. Since subjective will one day become objective.« The factor of time in its perception and processing represents IMHO the most important co-ordinate ever in the creation of contemporary art.

»Kümmel«

Das Universum der Dinge, hier: Kümmel

Ich bin schuld. Wegen mir müssen sich Studierende der Muthesius ein halbes Jahr mit Kümmel herumschlagen. Kümmelndes ist das Thema, dass ich ihnen für den Gießener Töpfermarkt 2017  gegeben habe. Kümmel? Wie kommst du denn darauf?! Es ist, zugegebenermaßen, eine autokratische Entscheidung. Mußte sein, diesmal. Denn für mich ging es darum, ein Wort, einen Begriff zu finden, der sich ohne weiteres zu Bayern in Beziehung setzen läßt – aber den gerade aktuellen künstlerischen Auseinandersetzungen der Studierenden im Atelier möglichst fremd gegenübersteht. Denn wir folgen diesmal alle Bruno Labour und seinem“Parlament der Dinge“ indem wir zwei auf den ersten Blick völlig voneinander verschiedene Dinge willkürlich als Polaritäten setzen, zwischen denen sich eine Beziehung entwickelt. Hie sind das auf der einen Seite die Studioarbeiten jedes einzelnen Studierenden (verschieden) und Kümmel (für alle gleich) auf der anderen. Jeder muß nun für Dießen eine Arbeit entwickeln, die von beiden Polen herkommt. Alle haben einen Text für dieses Heft geschrieben, der diese Zusammenhänge erhellt und alle geben Einblicke in den Arbeitsprozess in der Innenseite der japanisch gefalteten Abbildung ihrer fertigen Arbeit.

Ich selbst habe mir als Gegenpole meiner Arbeit auf der einen Seite Kümmel (wie alle) und auf der anderen Seite Bruno Labour selbst auferlegt. Die beiden Recherche Quellen, die ich anschließend preisgebe, liegen in ihrer Niederschrift etwa 100 Jahre auseinander. Aus beiden Texten habe ich Wortsubstrate gewonnen, die, alphabetisch geordnet,, jeweils im Anschluß aufgezeichnet sind. Diese beiden Wortlisten sind das Material, aus dem meine Arbeit entstehen wird.

Weitere Materialien sind:

Steingutmasse, Pinsel, Stifte, Mikadostäbchen, Segelstoff, Wedding weiß/grau/schwarz, Fliesen von Golem und ein Schreibheft.

 

Meyers großes Konversationslexikon.

Ein Nachschlagwerk des allgemeinen Wissens. Sechste, gänzlich neu bearbeitete und vermehrte Auflage, Elfter Band. Kimpolung bis Kyzikos. Leipzig, Bibliographisches Institut, 1905.

Das ist die letzte, modernste, zeitgemäßeste Bearbeitung des führenden Kompendiums vor dem eersten Weltkrieges – auf dem Höhepunkt des »goldenen Zeitalters«, die Industrialisierung ist voll entfaltet und alles bisherige wissen über Kümmel ist der Frage, wie und wo einträglicher Anbau und guter Handel mit Kümmel gelingen kann, untergeordnet.

»Der Kümmel findet sich im mittleren bis nördlichen Europa bis zur Birkengrenze, in Südsibirien und im elburzgebirge, wächst auf guten, trockenen Wiesen und wird in Holland, bei Halle, Erfurt, Hamburg, Nürnberg, in Ostpreußen, Tirol, Norwegen, Schweden, Finnland, Russland auf Feldern kultiviert. Sein Anbau gehört zu den einträglichsten Kulturen.

Er fordert mürben, etwas bindigen, kalkhaltigen, warmen, trockenen Boden. Man sät ihn während der Baumblüte in 30 cm voneinander entfernten Reihen und sorgt dafür, daß die Pflanzen in den Reihen 15 cm voneinander entfernt stehen.. Man sät den K. Aber auch auf Gartenbeeten und verpflanzt ihn im Juli bei trübem Wetter auf den Acker. Im Herbst schneidet man das Kraut bis zum Herzblatt ab und verbraucht es zur Fütterung. Im folgenden Jahr blüht der Kümmel im Mai und muß geschnitten werden, sobald die oberste Dolde zu reifen beginnt und die übrigen grüne, entwickelte Früchte haben.  Man bindet ihn in kleine Bündel und trocknet diese auf dem Acker oder dem Hofe. Vgl. Handelspflanzen. Man baut den K. Aber auch zur Benutzung der Wurzeln, sät ihn dann stets auf dem Acker, stellt die pflanzen beim Jäten 20-25cm auseinander und erntet die wurzeln im Oktober, die dann ein der Pastinake ähnliches, aber nicht jedermann angenehmes Gemüse geben.

Der Kümmel leidet durch Mäuse, Kaninchen, Engerlinge und die larve des Pfeifers oder der Kümmelschabe (Depressaria nervosa).

Der Samen enthält viel ätherisches Öl, schmeckt beißend gewürzhaft und dient als Gewürz in der Bäckerei, Käsefabrikation und in der Küche, als Zugabe zu Mastfutter, zur Herstellung von ätherischem Öl und Likören, seltener als Arznei.Das Kümmelstroh dient als Schaffutter, zum einstreuen, als Brennmaterial und zum Besenbinden. Der Rückstand von der Destillation ist ein gutes Futtermittel. Es enthält 20-23,5% Rohprotein und 14-16% Fett.

Den besten Kümmel des Handels liefert Holland. 1886 führte Deutschland2.153.100 kg ein, davon aus Holland 1.978.500 kg.

K. Wurde schon im Altertum angebaut und als Gewürz benutzt,, er wird in der mittelalterlichen Arznei und in Destillierbüchern oft genannt und im 12.Jh. pries ihn die Äbtissin Hildegard als Arzneimittel. Auch in den deutschen Arzneibüchern des 12. Und 13.Jh. wird er erwähnt. In städtischen Spezereitaxen wird K. Zuerst 1304 in Brügge, dann in der Mitte des 15 Jh. In Danzig aufgeführt. Der römische Mutterkümmel stammt von Cuminum Cyminum (s. Cuminum).«

 

Reizwörter 1

Äbtissin, Acker, Altertum, Arzneibücher, Ätherisches Öl, Bäckerei, bei Holland, beißend, gewürzhaft, Benutzung, Besenbinden, bindig, Birkengrenze, Brennmaterial, Bündel, Destillation, Dolde, einträglichste Kulturen, Elburzgebirge, Engerlinge, Entfernung, Erfurt, Fett, Finnland,, Fütterung, Futtermittel, Gartenbeete, grüne entwickelte Früchte, Halle, Hamburg, Handelspflanzen, Herbst, Herzblatt, Hof Jahr, Jäten, Juli, Käsefabrikation, kalkhaltig, Kaninchen, Kraut, Küche, Kümmelschabe, Kümmelstroh, Larve des Pfeifers, Liköre, Mai, Mastfutter, Mäuse, Mitte, mürb, Mutterkümmel, nicht für jedermann angenehmes Gemüse, Norwegen, Nürnberg, Ostpreußen, Rohprotein, Rückstand, Russland,Schaffutter, Spezereitaxen, Schweden, Tirol, trocken, trübes Wetter, warm, Wiesen, Wurzeln

 

Labour, Bruno: Wir sind nie modern gewesen/ Versuch einer symmetrischen Anthropologie,

Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 2008 (das französische Original erschien 1997 in der Zeit, als man gerade dazu überging, Wissen nicht mehr im Lexikon, sondern im Internet nachzuschlagen. Die Kultur Industriegesellschaft hatte ein Ende gefunden und war, für viele Menschen schmerzhaft, von der postindustriellen Moderne abgelöst worden. Wer wissen will, ob das auch den Kümmel betroffen hat, mag den zugehörigen Artikel bei Wikipedia nachlesen. Da alle Studierenden zuerst bei Wiki nachgeschaut haben, waren sie sehr überrascht, als ich ihnen den Beitrag aus Meyers Lexikon 1906 vorlas. Er erzählt nicht nur über Kümmel. Ein Zeitdokument. Ich hätte diese zwei Artikel über Kümmel als Pole für meine Geschichte gut benutzen können, habe mich aber für Latour entschieden:

»Wenn die Lektüre der Tageszeitung das Gebet des modernen Menschen ist, dann betet heute bei der Lektüre dieses Gemenges ein seltsamer Mensch. Die ganze Kultur und die ganze Natur werden hier Tag für Tag neu zusammengebraut… Sobald die Fakten nicht den zugleich marginalen und geheiligten Platz einnehmen, den unsere Verehrung ihnen vorbehält, scheinen sie sofort auf rein lokale Kontingente oder dürftige Kunstbegriffe reduziert zu sein. Zeigt man den etablierten wissenschaftlichen Disziplinen irgend ein schönes soziotechnisches Netz, irgendwelche wunderbaren Übersetzungen, so werden die Epistomologen die Begriffe herausziehen und alle Wurzeln zum Sozialen oder zur Rhetorik abschneiden; die Sozialwissenschaftler werden die soziale und politische Dimension herausgreifen und sie von jedem Objekt säubern, die Semiologen schließlich werden aus unserer Arbeit Diskurs und Rhetorik übernehmen, aber von jedem unstatthaften Bezug zur Realität -horresco Referenz- und den Machtspielen reinigen. Das Ozonloch über unseren Köpfen, das moralische Gesetz in unserem Herzen und der autonome text mögen in den Augen unserer Kritiker zwar interessant sein, aber nur getrennt voneinander. Sobald ein feines Weberschiffchen Himmel, Industrie, Texte, Seelen und moralisches Gesetz miteinander verwebt, wird es unheimlich, unvorstellbar,unstatthaft.«

»Glauben wir weiter an die Wissenschaften…, nehmen wir sie in dem, was schon immer das interessanteste an ihnen war: ihrem Wagemut, ihrem Experimentieren, ihrer Ungewissheit, ihrer Hitze, ihrem ungebührlichen Mischen von Hybriden, ihrer wahnsinnigen Fähigkeit, das soziale Band neu zu knüpfen. … Die Naturen sind präsent, aber mit ihren Repräsentanten.«

 

Reizwörter 2

Arbeit, Augen, autonom, Band, Begriffe, Dimension, Diskurs, Disziplinen, dürftig, Experimente, Fakten, fein, Gebet, Gemenge, Gesetz, getrennt, Glauben, Herzen, Himmel, Hitze, heilig, Hybride, Industrie, Kontingente, Köpfe, Kritiker, Kultur, Kunstbegriffe, Lektüre, lokal, Machtspiele, Menschen, modern, moralisch, Natur, Netz, Objekt, Ozonloch, Platz, Realität, reduziert, Repräsentanten, Rhetorik, schön, Seelen, seltsam, soziotechnisch, Tageszeitung, Text,, Übersetzungen, ungebührlich, Ungewissheit, unheimlich, unser, unstatthaft, unvorstellbar, Verehrung, Wagemut, wahnsinnig, Weberschiffchen, Wissenschaften, wunderbar, Wurzeln, zusammengebraut.

 

Ich baue ein Spiel, den Kümmelkrieg.
Die Spielfiguren tragen Wortstandarten über das Spielfeld. Die regeln dafür erfinden die Spieler und schreiben sie in das Spielregelheft. Wann ist der Krieg vorbei? Und wer hat gewonnen?

»Kümmel«

Das Universum der Dinge, hier: Kümmel

Ich bin schuld. Wegen mir müssen sich Studierende der Muthesius ein halbes Jahr mit Kümmel herumschlagen. Kümmelndes ist das Thema, dass ich ihnen für den Gießener Töpfermarkt 2017  gegeben habe. Kümmel? Wie kommst du denn darauf?! Es ist, zugegebenermaßen, eine autokratische Entscheidung. Mußte sein, diesmal. Denn für mich ging es darum, ein Wort, einen Begriff zu finden, der sich ohne weiteres zu Bayern in Beziehung setzen läßt – aber den gerade aktuellen künstlerischen Auseinandersetzungen der Studierenden im Atelier möglichst fremd gegenübersteht. Denn wir folgen diesmal alle Bruno Labour und seinem“Parlament der Dinge“ indem wir zwei auf den ersten Blick völlig voneinander verschiedene Dinge willkürlich als Polaritäten setzen, zwischen denen sich eine Beziehung entwickelt. Hie sind das auf der einen Seite die Studioarbeiten jedes einzelnen Studierenden (verschieden) und Kümmel (für alle gleich) auf der anderen. Jeder muß nun für Dießen eine Arbeit entwickeln, die von beiden Polen herkommt. Alle haben einen Text für dieses Heft geschrieben, der diese Zusammenhänge erhellt und alle geben Einblicke in den Arbeitsprozess in der Innenseite der japanisch gefalteten Abbildung ihrer fertigen Arbeit.

Ich selbst habe mir als Gegenpole meiner Arbeit auf der einen Seite Kümmel (wie alle) und auf der anderen Seite Bruno Labour selbst auferlegt. Die beiden Recherche Quellen, die ich anschließend preisgebe, liegen in ihrer Niederschrift etwa 100 Jahre auseinander. Aus beiden Texten habe ich Wortsubstrate gewonnen, die, alphabetisch geordnet,, jeweils im Anschluß aufgezeichnet sind. Diese beiden Wortlisten sind das Material, aus dem meine Arbeit entstehen wird.

Weitere Materialien sind:

Steingutmasse, Pinsel, Stifte, Mikadostäbchen, Segelstoff, Wedding weiß/grau/schwarz, Fliesen von Golem und ein Schreibheft.

 

Meyers großes Konversationslexikon.

Ein Nachschlagwerk des allgemeinen Wissens. Sechste, gänzlich neu bearbeitete und vermehrte Auflage, Elfter Band. Kimpolung bis Kyzikos. Leipzig, Bibliographisches Institut, 1905.

Das ist die letzte, modernste, zeitgemäßeste Bearbeitung des führenden Kompendiums vor dem eersten Weltkrieges – auf dem Höhepunkt des »goldenen Zeitalters«, die Industrialisierung ist voll entfaltet und alles bisherige wissen über Kümmel ist der Frage, wie und wo einträglicher Anbau und guter Handel mit Kümmel gelingen kann, untergeordnet.

»Der Kümmel findet sich im mittleren bis nördlichen Europa bis zur Birkengrenze, in Südsibirien und im elburzgebirge, wächst auf guten, trockenen Wiesen und wird in Holland, bei Halle, Erfurt, Hamburg, Nürnberg, in Ostpreußen, Tirol, Norwegen, Schweden, Finnland, Russland auf Feldern kultiviert. Sein Anbau gehört zu den einträglichsten Kulturen.

Er fordert mürben, etwas bindigen, kalkhaltigen, warmen, trockenen Boden. Man sät ihn während der Baumblüte in 30 cm voneinander entfernten Reihen und sorgt dafür, daß die Pflanzen in den Reihen 15 cm voneinander entfernt stehen.. Man sät den K. Aber auch auf Gartenbeeten und verpflanzt ihn im Juli bei trübem Wetter auf den Acker. Im Herbst schneidet man das Kraut bis zum Herzblatt ab und verbraucht es zur Fütterung. Im folgenden Jahr blüht der Kümmel im Mai und muß geschnitten werden, sobald die oberste Dolde zu reifen beginnt und die übrigen grüne, entwickelte Früchte haben.  Man bindet ihn in kleine Bündel und trocknet diese auf dem Acker oder dem Hofe. Vgl. Handelspflanzen. Man baut den K. Aber auch zur Benutzung der Wurzeln, sät ihn dann stets auf dem Acker, stellt die pflanzen beim Jäten 20-25cm auseinander und erntet die wurzeln im Oktober, die dann ein der Pastinake ähnliches, aber nicht jedermann angenehmes Gemüse geben.

Der Kümmel leidet durch Mäuse, Kaninchen, Engerlinge und die larve des Pfeifers oder der Kümmelschabe (Depressaria nervosa).

Der Samen enthält viel ätherisches Öl, schmeckt beißend gewürzhaft und dient als Gewürz in der Bäckerei, Käsefabrikation und in der Küche, als Zugabe zu Mastfutter, zur Herstellung von ätherischem Öl und Likören, seltener als Arznei.Das Kümmelstroh dient als Schaffutter, zum einstreuen, als Brennmaterial und zum Besenbinden. Der Rückstand von der Destillation ist ein gutes Futtermittel. Es enthält 20-23,5% Rohprotein und 14-16% Fett.

Den besten Kümmel des Handels liefert Holland. 1886 führte Deutschland2.153.100 kg ein, davon aus Holland 1.978.500 kg.

K. Wurde schon im Altertum angebaut und als Gewürz benutzt,, er wird in der mittelalterlichen Arznei und in Destillierbüchern oft genannt und im 12.Jh. pries ihn die Äbtissin Hildegard als Arzneimittel. Auch in den deutschen Arzneibüchern des 12. Und 13.Jh. wird er erwähnt. In städtischen Spezereitaxen wird K. Zuerst 1304 in Brügge, dann in der Mitte des 15 Jh. In Danzig aufgeführt. Der römische Mutterkümmel stammt von Cuminum Cyminum (s. Cuminum).«

 

Reizwörter 1

Äbtissin, Acker, Altertum, Arzneibücher, Ätherisches Öl, Bäckerei, bei Holland, beißend, gewürzhaft, Benutzung, Besenbinden, bindig, Birkengrenze, Brennmaterial, Bündel, Destillation, Dolde, einträglichste Kulturen, Elburzgebirge, Engerlinge, Entfernung, Erfurt, Fett, Finnland,, Fütterung, Futtermittel, Gartenbeete, grüne entwickelte Früchte, Halle, Hamburg, Handelspflanzen, Herbst, Herzblatt, Hof Jahr, Jäten, Juli, Käsefabrikation, kalkhaltig, Kaninchen, Kraut, Küche, Kümmelschabe, Kümmelstroh, Larve des Pfeifers, Liköre, Mai, Mastfutter, Mäuse, Mitte, mürb, Mutterkümmel, nicht für jedermann angenehmes Gemüse, Norwegen, Nürnberg, Ostpreußen, Rohprotein, Rückstand, Russland,Schaffutter, Spezereitaxen, Schweden, Tirol, trocken, trübes Wetter, warm, Wiesen, Wurzeln

 

Labour, Bruno: Wir sind nie modern gewesen/ Versuch einer symmetrischen Anthropologie,

Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 2008 (das französische Original erschien 1997 in der Zeit, als man gerade dazu überging, Wissen nicht mehr im Lexikon, sondern im Internet nachzuschlagen. Die Kultur Industriegesellschaft hatte ein Ende gefunden und war, für viele Menschen schmerzhaft, von der postindustriellen Moderne abgelöst worden. Wer wissen will, ob das auch den Kümmel betroffen hat, mag den zugehörigen Artikel bei Wikipedia nachlesen. Da alle Studierenden zuerst bei Wiki nachgeschaut haben, waren sie sehr überrascht, als ich ihnen den Beitrag aus Meyers Lexikon 1906 vorlas. Er erzählt nicht nur über Kümmel. Ein Zeitdokument. Ich hätte diese zwei Artikel über Kümmel als Pole für meine Geschichte gut benutzen können, habe mich aber für Latour entschieden:

»Wenn die Lektüre der Tageszeitung das Gebet des modernen Menschen ist, dann betet heute bei der Lektüre dieses Gemenges ein seltsamer Mensch. Die ganze Kultur und die ganze Natur werden hier Tag für Tag neu zusammengebraut… Sobald die Fakten nicht den zugleich marginalen und geheiligten Platz einnehmen, den unsere Verehrung ihnen vorbehält, scheinen sie sofort auf rein lokale Kontingente oder dürftige Kunstbegriffe reduziert zu sein. Zeigt man den etablierten wissenschaftlichen Disziplinen irgend ein schönes soziotechnisches Netz, irgendwelche wunderbaren Übersetzungen, so werden die Epistomologen die Begriffe herausziehen und alle Wurzeln zum Sozialen oder zur Rhetorik abschneiden; die Sozialwissenschaftler werden die soziale und politische Dimension herausgreifen und sie von jedem Objekt säubern, die Semiologen schließlich werden aus unserer Arbeit Diskurs und Rhetorik übernehmen, aber von jedem unstatthaften Bezug zur Realität -horresco Referenz- und den Machtspielen reinigen. Das Ozonloch über unseren Köpfen, das moralische Gesetz in unserem Herzen und der autonome text mögen in den Augen unserer Kritiker zwar interessant sein, aber nur getrennt voneinander. Sobald ein feines Weberschiffchen Himmel, Industrie, Texte, Seelen und moralisches Gesetz miteinander verwebt, wird es unheimlich, unvorstellbar,unstatthaft.«

»Glauben wir weiter an die Wissenschaften…, nehmen wir sie in dem, was schon immer das interessanteste an ihnen war: ihrem Wagemut, ihrem Experimentieren, ihrer Ungewissheit, ihrer Hitze, ihrem ungebührlichen Mischen von Hybriden, ihrer wahnsinnigen Fähigkeit, das soziale Band neu zu knüpfen. … Die Naturen sind präsent, aber mit ihren Repräsentanten.«

 

Reizwörter 2

Arbeit, Augen, autonom, Band, Begriffe, Dimension, Diskurs, Disziplinen, dürftig, Experimente, Fakten, fein, Gebet, Gemenge, Gesetz, getrennt, Glauben, Herzen, Himmel, Hitze, heilig, Hybride, Industrie, Kontingente, Köpfe, Kritiker, Kultur, Kunstbegriffe, Lektüre, lokal, Machtspiele, Menschen, modern, moralisch, Natur, Netz, Objekt, Ozonloch, Platz, Realität, reduziert, Repräsentanten, Rhetorik, schön, Seelen, seltsam, soziotechnisch, Tageszeitung, Text,, Übersetzungen, ungebührlich, Ungewissheit, unheimlich, unser, unstatthaft, unvorstellbar, Verehrung, Wagemut, wahnsinnig, Weberschiffchen, Wissenschaften, wunderbar, Wurzeln, zusammengebraut.

 

Ich baue ein Spiel, den Kümmelkrieg.
Die Spielfiguren tragen Wortstandarten über das Spielfeld. Die regeln dafür erfinden die Spieler und schreiben sie in das Spielregelheft. Wann ist der Krieg vorbei? Und wer hat gewonnen?